Biografie Raphaela Suter

Wie alles begann

Mit knapp drei Jahren stand ich das erste Mal auf den Skiern und erlernte das Skifahren durch unseren Vater Rupert, welcher ausgebildeter Skilehrer ist. Als ich etwa sieben Jahre alt war, durfte ich mit dem Skiclub Stoos die ersten Rennen bestreiten. Ich entschied mich mit voller Überzeugung für den Sport und ging im Jahr 2012 mit 15 Jahren an die Sportmittelschule in Engelberg.


Als Juniorin auf der FIS-Stufe unterwegs

Durch gute Resultate im ersten FIS-Winter schaffte ich den Aufstieg vom ZSSV-Team ins NLZ Mitte Kader. Zwei Saisons verbrachte ich in diesem Team und hatte immer wieder kleine Erfolgserlebnisse, wie Vize-Schweizermeisterin in der Abfahrt, die erste Teilnahme am Europacup Finale oder meinen ersten FIS Sieg. Dank den grossartigen Ergebnissen schaffte ich im Jahr 2014 den Sprung in das Swiss-Ski C-Kader. Alles wurde noch professioneller, wir hatten einen Servicemann, welcher die Skier vorbereitete und einen individuellen Konditionstrainer.


Unfall

Bei den Trainings für die jährlichen Heimrennen anfangs März 2015 kam jedoch alles anders als erwartet. Bei einer Welle im flacheren Teil der Strecke verlor ich die Beherrschung über meine Skier, sie fuhren ihren eigenen Weg und mein Bein wurde stark verdreht. Die hohen Kräfte waren stärker als mein Unterschenkel und dieser zerbrach in mehrere Stücke. Die Diagnose war erschütternd, ich hatte im rechten Bein einen Trümmerbruch des Schien- und Wadenbeins erlitten, sowie das Kompartmentsyndrom. Im linken Knie riss dazu auch das vordere Kreuzband. Die Ärzte teilten mir klar mit, dass ich niemals wieder Skifahren werde, mein Kopf hatte jedoch ganz andere Pläne.


Der Weg zurück

Die nächsten 2.5 Jahre verbrachte ich oft im Kraftraum und mit vielen Physiotherapiestunden. In dieser Zeit lernte ich stark die kleinen Dinge zu schätzen. Ich lernte auch sehr auf meinen eigenen Körper zu hören und eine Pause zu machen, bevor es zu viel wird. Nach sechs Operationen, mit zwei Platten und 14 Schrauben weniger fühlte ich mich im Herbst 2016 deutlich leichter und mein Bein konnte ohne Fremdkörper schnell und komplett heilen. Am 20. November 2017 war es dann so weit und ich durfte endlich nach einer langen Pause mein erstes Rennen in Zinal (VS) bestreiten. Bei fast jedem Rennen hatte ich mit neuen Hürden zu kämpfen, jedoch nahmen diese nicht viele Personen wahr. Ich kämpfte mit Ängsten wie beispielsweise der Geschwindigkeit, weichem oder hartem Schnee, Sprünge oder schlechter Sicht. Doch dank intensivem Mentaltraining überwindete ich auch diese Hürde.

Bild: KEYSTONE/Urs Flueeler


Ausbildung zur Kauffrau

Neben dem Skifahren schloss ich 2016 die vierjährige Ausbildung mit dem Handelsdiplom in Engelberg ab. Anschliessend wollte ich meinen Berufsweg noch mit dem KV erweitern und bekam die Möglichkeit im Romantik Hotel Hornberg in Saanenmöser meine Ausbildung zur Kauffrau an der Rezeption zu erlernen. Die Tage im Hotel genoss ich sehr und sie gaben mir den Ausgleich, den ich brauchte. Ich versuchte immer eine Trainingseinheit von etwa drei Stunden vor oder nach dem Arbeiten einzubringen. Nach zwei großartigen Jahren hinter der Rezeption schloss ich auch diese Ausbildung ab und erlangte das EFZ zur Kauffrau.


Die neue Herausforderung

Die erste Saison nach dem Unfall verging wie im Flug und ich fuhr deutlich besser als vor dem Sturz im März 2015. Ich konnte sogar die Unfallstrecke auf dem Stoos bezwingen und einen Sieg einfahren. Umso überraschender kam dann die Entscheidung, nach einer für mich persönlich sehr erfolgreichen und wertvollen Saison, dass ich nicht mehr bei Swiss-Ski dabei sei und in das regionale Kader zurückgestuft werde. Doch aufgeben wollte ich nicht. Im ZSSV-Team erhielt ich Unterschlupf und durfte in diesem Team eine sehr hohe Wertschätzung von seitens des Trainers und den jungen Athletinnen erleben. Ich konnte die Leidenschaft zum Skifahren während der Vorbereitung noch einmal vollkommen auskosten.


Die Entscheidung zu etwas Neuem

Inmitten der Saison bemerkte ich jedoch, dass sich etwas in meinem Herzen geändert hat. Ich ging weiter an die Rennen, doch ich fühlte diese Bereitschaft nicht mehr, welche ich in den vergangenen Jahren immer verspürt habe. In dieser Zeit arbeitete ich sehr stark im mentalen Bereich und versuchte diese Ängste zu verarbeiten. Mir wurde klar, dass mein Herz nicht mehr Skifahren will, jedoch hinderte mich die Angst vor dem Neuen und Ungewissen einen Schlussstrich zu ziehen. Als ich diese Beklemmung endlich los war, konnte ich eine klare Entscheidung treffen: ‘Ich möchte nicht mehr am professionellen Skirennsport teilnehmen.‘


Das letzte Rennen

Mein Umfeld unterstützte mich immer in meinen Entscheidungen. Auch bei diesem Schritt, meine Karriere als Skirennfahrerin zu beenden, standen sie mir tatkräftig zur Seite. Im Rahmen der Schweizermeisterschaften, welche im Jahre 2019 auf unserem Heimberg Stoos stattfanden, durfte ich unter dem Jubel meiner ganzen Familie, Freunden, Bekannten, Unterstützern und noch vielen weiteren das letzte Rennen bestreiten. Der Tag ging wie im Flug vorbei und ich konnte ihn in vollen Zügen geniessen.

Bild: KEYSTONE/Urs Flueeler


Was nun?

Anschliessend an den Frühling 2019 ging ich ein paar Wochen auf Reisen und machte mir überhaupt keine Gedanken wie die Zukunft aussehen wird. Im Herbst startete für ein Jahr die Berufsmatura in Pfäffikon, welche mir die Türen für die Fachhochschulen öffnete. Ich brauchte diese, denn ich wollte meinen zweiten Traum verwirklichen, den Beruf als Hebamme. Nun bin ich kurz vor dem Ende der vierjährigen Ausbildung zur Hebamme an der Berner Fachhochschule und darf bereits jetzt in den Praktika kleine Erdenbewohner bei uns willkommen heissen.
Als begeisterte Skifahrerin bin ich natürlich weiterhin auf den Skipisten anzutreffen oder drücke tatkräftig meine Daumen an der Rennstrecke für meine Schwestern.


Dankä!

In all den Jahren lernte ich viele grossartige Menschen kennen. Es entstanden viele Freundschaften doch ohne meine Familie, meinem Freund, meinen engsten Freunden und meinen Unterstützern in jeglicher Hinsicht hätte ich mich aus all den Niederschlägen nicht so locker herausgekämpft. Sie alle gaben mir das Vertrauen, dass jemand hinter mir steht und an mich glaubt, als ich es selbst nur schwer konnte.

Schliesst sich eine Tür, dann öffnet sich eine neue